Wiedergutmachung, Entschädigung, Entschuldigung und die Anerkennung des zugefügten Leids sind unterschiedliche Dinge.
Die Anerkennung des zugefügten Leids durch die pauschale Zahlung von 5000,- € zuzüglich der Zusage, auch Therapiekosten zu übernehmen, haben wir Betroffene als wohltuend lindernd wahrgenommen. Wir sind damit 2010 als Opfer von Tätern, für die der Orden als Organisation verantwortlich war und ist, anerkannt worden. Das ist viel, das ist schier unglaublich viel, vergleicht man es mit den bitteren Erfahrungen der Opfer, die sich in den 50er bis 70er Jahren gemeldet haben. Sie wurden oft entweder gar nicht gehört oder manchmal auch so bearbeitet, dass am Schluss sie selbst als Lügner verleumdet und die Täter zu armen Opfern mutiert waren. Mit der Überweisung der Leidanerkennungszahlung wurde den Betroffenen gegenüber klargestellt, dass es Opfer gab und dass es Täter gab, für die die entsprechenden Institutionen verantwortlich waren. Wir Betroffene mussten nicht mehr um Glaubwürdigkeit kämpfen, wir waren damit quasi "zertifiziert"glaubwürdig und wurden zum respektierten Gegenüber- ein erster Schritt der Wiedergutmachung.
Der Orden der Redemptoristen verließ in Teilen die durch die Bischofskonferenz vorgegebenen Wege und wickelte die Zahlung unbürokratisch und schnell ab. Er zahlte aus seinem eigenen Vermögen, er zahlte ohne weitere Einzelfallprüfung auf der Grundlage des Merzbachberichts. Er zahlte auch für physische und psychische Gewaltfolgen und ging damit in einem wesentlichen Punkt über das Modell der deutschen Bischofskonferenz hinaus.
Die Leidanerkennungszahlung linderte den Schmerz und die Wut der Betroffenen mehr als sie selbst es für möglich gehalten hatten. Aber sie hatte einen faden Beigeschmack: so als hätten die Verantwortlichen sich günstig freigekauft. Diesen Beigeschmack wird die Leidanerkennungszahlung solange behalten, wie der Orden nicht doch noch zu einem geordneten Verfahren einer wirklichen Entschädigung kommt. Dass eine Entschädigung dabei den individuellen Umständen der Taten und ihrer Folgen gerecht werden muss, ist dem Gedanken einer Entschädigung immanent. Der Orden könnte mit seiner Bereitschaft, in ein Entschädigungsverfahren einzutreten (wie hoch auch immer am Schluss die einzelne Entschädigungssumme ist) unter Beweis stellen, wie hart die Währung seiner Worte der Entschuldigung ist. Er könnte durch die dann notwendige Einzelfallprüfung und die Abwägung der Schwere einer Tat und ihrer Folgen unter Beweis stellen, dass die Opfer ihm wichtig sind, dass ihm das einzelne Opfer wichtig ist und wert, dass er sich seine Geschichte zu eigen macht, um gerecht zu entschädigen. Die Art und Weise der Beteiligung an der Planung eines solchen Verfahrens wäre zudem ein weiterer Schritt der Wiedergutmachung, die Rückführung der Opfer aus ihrem Elendsstatus als Objekt, indem man ihnen Partizipation gewährt. Der Eindruck, dass dem Orden die Entschädigung wehtut, könnte ein weiteres Stück an Genugtuung für die Betroffenen sein.
Hinweise zur Entschädigung in anderen Regionen:
Das Kloster Ettal hat mit der
Veröffentlichung des 7- Punkte Plans vom 17.02.11 die Umsetzung wesentlicher Forderungen der Opfer versprochen. Das Vorgehen bei Entschädigung und Therapiekostenübernahme setzte Maßstäbe im
bundesdeutschen Vergleich und schuf damit die Chance einen Großteil der Opfer zu befrieden. Insbesondere die unbürokratische Abwicklung und das Einbeziehen von Mediatoren schaffte Vertrauen.
Ettal, als unabhängiges Kloster, entschädigte, wie z.B. die katholische Kirche in Irland und Österreich auch für physische und psychische Gewaltfolgen und ging damit wesentlich über das
Entschädigungsmodell der deutschen Bischofskonferenz hinaus.
Die Entschädigungsmodelle im Vergleich
Die Entschädigung im europäischen Vergleich zeigt, dass Misshandlungs- und Missbrauchsfolgen der Kirche unterschiedlich viel Wert sind:
- Irland im Schnitt ca. 68.000 €
- Österreich im Schnitt ca. 15.000 €
- Ettal im Schnitt ca.
10.000 €
- Deutschland 2.000 bis 5.000
€ (keine Anerkennungzahlung von Misshandlung, nur Anerkennung Missbrauch)
- Odenwaldschule eventuell 0
€ (nicht kirchlich)
Matthias Kopp, der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz: Die Deutsche Bischofskonferenz hält ihr Modell nach wie vor für gut und akzeptabel. "Das ist keine Zumutung, sondern ein Modell, das auf große Zustimmung gestoßen ist. Wir glauben, dass unser Modell gut ist, und wenn Ettal das anders entscheidet, dann wird das für Ettal richtig sein, aber wir werden unser Modell nicht nachbessern, im übrigen gehe man in Härtefällen auch über den Betrag von 5. 000 Euro hinaus" [Bayrischer Rundfunk] [schwarzenbach-saale-evangelisch.de]
„Jesuiten im Nordwesten der USA haben Entschädigungszahlungen von 166 Millionen Euro zugestimmt. Das Geld soll an etwa 500 Personen gehen, die in Einrichtungen der katholischen Ordensgemeinschaft
missbraucht wurden. …“
In Österreich werden im Schnitt 15.000,-€ an Missbrauchsopfer ausgezahlt.
Der gerne genommene Vergleich, die deutsche katholische Kirche bezahle die Entschädigung aus der Portokasse, hinkt nicht: 1 Brief an jeden der 24 Millionen deutschen Katholiken würde in der Summe etwas über 13 Mio.€ Porto kosten
Die Entschädigung an alle Missbrauchsopfer kostet ca. 3- 5 Mio. €.
Wir Betroffenen wissen selbst, dass für die Entschädigung rechtlich keine Summen bereit stehen,wie sie in den USA gezahlt wurden. Wir wissen längst und haben auch akzeptiert, dass eine Entschädigung wie hoch auch immer den angerichteten Schaden nicht wieder gut machen kann. Die Betroffenen machen es den Verantwortlichen in der Entschädigungsfrage sogar leicht, weil sie sich in der Regel nicht wirklich dem Ausmaß der eigenen Beschädigung stellen wollen und können. Was die Täter angerichtet haben, dem stellen sich die Opfer erst allmählich und gewiss nur in kleinen Teilen.
Andreas Huckele alias Jürgen Dehmers hat für die Missbrauchsopfer der Odenwaldschule die Problematik der Wiedergutmachung gut zusammen gefasst:
"Entschädigungszahlungen an die Opfer haben wichtige Funktionen!
Eine davon ist symbolisch.
In einer materiellen Kultur wie der unseren, in welcher der Wert von etwas oder jemandem in einer Euro- Bezifferung ausgedrückt wird, hat die Benennung eines Schadens in Euro eine hohe Aussagekraft, besonders wenn es sich dabei um einen Schmerz-Schaden handelt, also einen Schaden, bei dem es lediglich eine Anerkennung, aber keine Wiedergutmachung geben kann. Eine Zahlung von Entschädigung ist die Anerkennung und Benennung einer Schuld und beendet die gefühlte Mitschuld und Beteiligung der Opfer am Verbrechen.
Die Opfer haben nicht «Nein» sagen können!
Dass gegenwärtig wenige Opfer Entschädigungen fordern, ist ein Teil des Schadens, welcher durch die sexualisierte Gewalt verursacht wurde, welche die Opfer erleiden und erdulden mussten. Indem es hingenommen wird, dass die Mehrheit der Opfer keine materiellen Forderungen stellen und damit die Minderheit der Opfer, welche bezifferte Entschädigungssummen fordern, erneut ausgrenzen, setzen die Verantwortlichen der Institution das schädigende Verhalten fort. «Denn erst wenn in unserer Gesellschaft größere Summen Geldes freiwillig gezahlt werden, ist die Schuld schmerzhaft anerkannt.» Prof. Volkmar Sigusch, Sexualforscher, Frankfurt am Main, Erziehung und Wissenschaft, 6/2010, GEW
Eine davon ist praktisch.
Eine Entschädigungszahlung lindert den angerichteten Schaden. Überlebende sexualisierter Gewalt stehen in der Regel unterdurchschnittlich gut und abgesichert im Leben. Die Kosten für Behandlungen sind hoch und werden nicht immer von den Krankenkassen bezahlt. Kontingente für therapeutische Maßnahmen sind vor Behandlungsende erschöpft. Gebrochene Biographien, Ausbildungsverzögerungen und unterbrochene Beschäftigungsverhältnisse sind bei Opfern gehäuft zu beobachten. Eine adäquate Versorgung für das Alter ist häufig nicht vorhanden.
Eine davon ist moralisch.
Wer Schaden angerichtet hat, steht in unserer Kultur in der Pflicht, diesen wieder auszugleichen. Diese
Verpflichtung ist unabhängig von Straf- und Zivilrecht. Daher steht die Institution in der Pflicht, von der
Einrede der Verjährung Abstand zu nehmen und ihrer moralischen Verpflichtung zur Anerkennung nach zu
kommen. Die Entschädigungszahlungen sind so hoch anzusetzen, dass die Opfer nicht beleidigt werden.
Lebenslanges Leid kann nicht mit Almosen abgegolten werden!" (Dehmers, Wie laut soll ich denn noch
schreien?, S. 276f.)
Für die verübten Verbrechen seiner Mitglieder haben die Ordensoberen (die Provinziale ten Winkel und Römelt) ausdrücklich die Verantwortung als Orden übernommen. Sie haben sich für jedes angetane Unrecht entschuldigt und um Verzeihung gebeten. Auch für Versäumnisse in der Aufarbeitung der Taten und im Umgang mit den Opfern wurde explizit um Entschuldigung gebeten. Diese Entschuldigung nötigt uns hohen Respekt ab. So billig manch einem eine verbale Entschuldigung erscheinen mag, so sehr sehen wir als Betroffene aber auch, dass die Entschuldigung kirchlicher Stellen so selbstverständlich nie gewesen ist und wissen sie daher in ihrer Bedeutung zu würdigen.
Die Entschuldigung haben wir angenommen. Ob wir je verzeihen oder vergeben können? Diese Frage können wir nicht beantworten.
Leidanerkennungsprämie, Entschuldigung und Entschädigung sind selbst nur Teil einer umfassenden Wiedergutmachung, wie sie die Kirche und der Orden versprochen haben. Zur Wiedergutmachung gehört alles das, was den Betroffenen zeigt, dass es um sie geht und dass ihnen jetzt zu teil werden soll, was ihnen als Opfer vorenthalten wurde (Verständnis, Fürsorge, Schutz), alles das, was ihren Schmerz lindert und ihre Lebensfreude erhöht (Aufarbeitung, Entschuldigung, Leidanerkennungszahlung, Entschädigung, Therapie) alles das, was sie aus dem Opferstatus herausführt, was sie vom Objekt zum Subjekt macht.
Der Zusammenschluss der Betroffenen zum Verein, die Öffentlichkeitsarbeit in Form der Homepage sind wichtige Elemente, die verdeutlichen, dass wir den Status eines Objektes allmählich aufgeben. Der Orden kann hier durch finanzielle Unterstützung ein deutliches Zeichen der Wiedergutmachung setzen. Aufmerksam haben die Missbrauchsopfer des Collegium Josephinum registriert, dass auch die Schule die Geschichte nicht weiter vollständig negiert sondern mit der Richtigstellung ihrer Geschichtsschreibung im Jahrbuch zum 125jährigen Bestehen diejenigen wieder in die Schulgemeinschaft einlädt, denen damals Unrecht geschah. Mit Genugtuung haben die Betroffenen registriert, dass sie eingeladen worden sind zu einem Gespräch über aktuelle Vorkommnisse an der Schule (Schulsanitätsdienst, Zäpfchenverabreichung) und dass sie beteiligt sein sollen an der kritischen Überarbeitung des Präventionskonzeptes der Schule. In der Satzung des Vereins sind unter dem Punkt „Zweck des Vereins“ weitere Schritte aufgeführt, die den Betroffenen das sichere Gefühl geben könnten, sie seien in Zukunft nicht mehr nur Betroffene oder Opfer.
Was wir vom Orden als Wiedergutmachung darüber hinaus fordern? Das er sich öffentlich wahrnehmbar einsetzt
Für die Opfer ist diese Form der Wiedergutmachung deshalb von so hoher Bedeutung, nicht weil sie Rachebedürfnisse erfüllt, sondern weil sie die Solidarität der heute Verantwortlichen mit den Opfern demonstriert. Alle diese Maßnahmen grenzen den Täter aus und nehmen die Opfer in die Gemeinschaft hinein. Ein Weg vom allfälligen Täterschutz in den Institutionen zur offensiven Opfersolidarität also. Das Gelingen oder Misslingen solcher Gesten der Solidarität entscheidet am Schluss über die Glaubwürdigkeit der Institutionen und erleichtert den Opfern, Mensch und nicht nur Opfer zu sein.